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Was soll ich Dir schreiben?

aus Oasen der Evangelische Militärseesorge

Militärseelsorge
Oasen

Ich sitze vor dem leeren Blatt Papier, der Füllfederhalter dreht sich in meiner Hand, ich bin unruhig und in meinen Gedanken ist es leer.

Was soll ich Dir bloß schreiben?
Das die Welt hier auf dem Balkan anders ist, das ich manchmal denke, es ist völlig umsonst hier zu sein, dass ich nicht verstehen kann, was die Menschen hier bewegt, was sie denken und fühlen und warum sie so feindselig sind - Völker gegen Völker, Nachbarn gegen Nachbarn?
Was soll ich Dir schreiben?
Dass wir einen heißen Sommer hatten, dass die Luft flimmerte und der Staub sich auf der Haut mit dem Schweiß zu einer ekligen Schale verband. Immer das Gefühl dreckig zu sein. Das es jetzt kühler geworden ist, die Nächte fast frostig. Soll ich Dir schreiben, dass wir oft lange im Café sitzen, reden, nichts tun. Dass wir abends oft einen trinken gehen, und dass wir viel zu viel hier trinken. Willst Du das hören?
Was soll ich Dir schreiben?
Das sich mein Leben zwischen den Zäunen eines bewachten Lagers abspielt mit Regeln, die mich einschränken, mir die Freiheit nehmen, hinzugehen, wo ich will?
Was soll ich Dir schreiben?
Dass wir mal wieder ein tolles Fest veranstaltet haben und die da oben zufrieden waren? Ich habe nicht viel davon gehabt. Ich durfte arbeiten.
Was soll ich Dir nur schreiben?
Soll ich Dir schreiben, dass die Rüstzeit an der Adria eine echte Abwechslung war, Dubrovnik eine wunderschöne Stadt, schöner als alles, was ich vorher je gesehen habe. Aber wie soll ich Dir beschreiben, wie die Stadtmauern hier aussehen, die Tore, das Hafenbecken mit den großen und kleinen Booten, den Yachten reicher Leute. Es gibt keine Worte, die meine Eindrücke auch nur annähernd wiedergeben könnten. Maler müsste ich sein. Ich kann die Atmosphäre, das Flair dieser Stadt, ihren Duft nicht aufs Papier bringen. Noch immer steht da nichts drauf.
Oder soll ich Dir schreiben, dass die Frauen hier schön sind, so schön, dass ich mich umdrehe, dass ich Witze mache jener schlechten Art, die Du zum Tode nicht ausstehen kannst, - dass es mich beim Anblick schöner Busen und Pos kribbelt, willst Du das hören?
Was soll ich Dir schreiben?
Die Tinte im Füller ist längst eingetrocknet. Willst Du wirklich hören, dass es mir gut geht? Hab ich das nicht in jedem Brief, auf jeder Karte geschrieben und hast Du es nicht immer wieder gelesen und gewusst, dass es so nicht stimmt? Ja, es geht mir gut, die Sonne scheint, das Essen ist in Ordnung, ich hab auch meinen Spaß. Aber - das ist es nicht. Da ist vieles, was nicht gut ist. Soll ich Dir das schreiben?
Soll ich Dir schreiben, dass es mir manchmal ganz beschissen geht, wenn ich an Dich denke, wenn Du nicht da bist und der Platz neben mir im Bett kalt ist. Soll ich Dir schreiben, wie sehr ich Deine Zärtlichkeit vermisse, Deine Stimme, den Duft Deiner Haare, Deine Berührung auf meiner Haut?
Was soll ich Dir schreiben?
Ich liebe Dich? Auch das habe ich tausendmal geschrieben und es ist nicht besser geworden, mein Gefühl, Dich verraten zu haben, alleine gelassen. Ja, ich liebe Dich. Ich möchte es Dir so gerne zeigen, es mit Dir leben. Deine Liebe. Unsere Liebe, davon träume ich.
Was soll ich Dir schreiben?
Das Blatt Papier vor mir hält meine Wahrheit nicht. Nicht meine Gefühle, nicht meine Tränen, die Sehnsucht nicht, die ich spüre, wenn ich noch immer vor diesem leeren Blatt sitze und längst aufgegeben habe, Dir zu schreiben.
Was soll ich Dir denn nun wirklich schreiben?
Ich habe Angst, dass Du mich nicht mehr liebst, dass Du genug hast von meinen leeren Worten. Ich habe Angst davor, dass die sechs Monate der Trennung uns Zeitversetzt haben. Ich habe Angst, Du gehst und ich bleibe allein - mit mir und meinen Erlebnissen, Erfahrungen und Gefühlen, die ich ohne Dich mit niemendem teilen kann.
Ich liebe Dich, ich brauche Dich, Du, die Du ein Teil von mir geworden bist - in diesen langen Tagen und Nächten so weit weg von Dir.
Was soll ich Dir schreiben?
Ich lege nun die Feder zur Seite und hänge noch ein wenig meinen Gedanken nach. Vielleicht rufe ich Dich nachher an. Plaudere etwas von diesem und jenem, mache uns Mut: sechs Wochen noch. Nur noch sechs Wochen. Und dann ist alles vergessen.

Alfred Vaupel-Rathke, Radio Andernach, November 2000


Das Buch kann über die Evangelische Militärseelsorge kostenfrei bezogen werden.

Adresse:
Evangelisches Kirchenamt für die Bundeswehr
Jebensstraße 3
10623 Berlin
Tel.: 030 310181-0

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